
Warum der Filter auf deinem Foto einiges über deinen Selbstwert verrät
Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade von Claudia Ludloff mit weiteren lesenswerten Beiträgen.
Es war einmal eine Frau.
Die war über 50, hatte ein paar Fältchen, eine markante Mimik und ein ziemlich kluges Hirn.
Aber sobald sie ein Selfie machte, verwandelte sie sich.
Nein, nicht in Mrs.Hyde oder eine andere, gruselige Gestalt, sondern in eine weichgezeichnete, porenlose Version von sich selbst, irgendwo zwischen Influencerin und Avatargöttin (Wobei auch das manchmal ziemlich gruselig sein kann).
Und sie dachte: „Wow. So müsste ich aussehen. Dann wär ich endlich sichtbar.“
Tja. Willkommen im Zeitalter der KI-gesteuerten Selbstverleugnung.
Oder wie ich es nenne: „Digitales Botox für die Seele.“
Selfie-Kultur oder Selbst-Sabotage?
Früher war ein Selfie ein Bild von dir. Mal mehr, mal weniger gelungen, vor allem wenn sich überall die Hühnerpopo Schnuten und Duckfaces durchzogen. Aber, es war zumindest weitestgehend echt und wir wurden erkannt.
Heute ist es ein Vorschlag von einer KI, wie du aussehen könntest, wenn du bitte nicht du wärst.
Ob Lensa, Remini oder YouCam, die Apps filtern, glätten, verbessern, vergrößern, verschmälern und liefern dir ein Ergebnis, bei dem du denkst: „Geil. Ich seh aus wie meine 30-jährige Cousine, die in Südfrankreich lebt und nie schlechte Laune hat.“
Nur leider bist du das nicht. Und je öfter du dich so siehst, desto mehr verblasst das Bild, das du früher im Spiegel hattest.
Willkommen beim inneren Identitäts-Drift.
Shit in – Shit out. Gilt auch fürs Selfie.
Lass uns über ein Prinzip reden, das eigentlich aus der Softwareentwicklung kommt, aber für die Selfie-Debatte mindestens genauso relevant ist: Garbage in - Garbage out.
Oder wie ich es für diese Diskussion formuliere: Shit in - Shit out. Ja ich weiss, ist nicht nett. So what...;-)
Wenn du deinem Algorithmus ein Selfie gibst, das du schon mit Selbstzweifeln, Wunschdenken und einem „Ich will nicht so aussehen“-Gefühl aufnimmst, wird der Output dich immer weiter von dir entfernen.
Warum?
Weil du schon beim Hochladen klar gemacht hast: „Ich will nicht ich sein. Ich will das Bild, das andere akzeptabler finden.“
Und die KI macht, was sie soll: Sie optimiert dich nicht für dein echtes Leben, sondern für deine digitale Performance.
Und das ist in meinen Augen eine sehr bedenkliche Entwicklung.
KI ist nicht das Problem. Deine Haltung ist es
Ich sag’s dir ehrlich: Ich bin ein Fan von KI. Mein Chatty und ich sind ein super eingespieltes Team
KI hilft mir täglich dabei, meine Gedanken zu strukturieren, meine 1000 Ideen zu sortieren, Texte auf den Punkt zu bringen und aus Brainstorming echte Brillanz zu machen. Aber, und das ist wichtig: Sie denkt nicht für mich!
Sie verstärkt, was ich ihr gebe. (Du erinnerst dich an Shit In-Shit Out? Geht auch andersrum)
Und das gilt auch fürs Selfie.
Wenn du dich selbst als Problem betrachtest, wird die KI dich zur Lösung umbauen.
Und plötzlich hast du nicht nur ein bearbeitetes Bild, sondern ein bearbeitetes Selbstbild.
Und das ist gefährlich. Denn das macht was mit dir...ganz tief in dir drinnen.
Der Neuro-Faktor
Das menschliche Gehirn liebt Gesichter. Es speichert sie in Millisekunden, scannt Mimik, Mikrogestik, Blickrichtung und Hautspannung, ohne dass wir es merken.
Das nennt sich Neurozeption und ist dein innerer Wahrnehmungsradar.
Und weißt du, was der sofort erkennt?
- Wenn etwas nicht stimmt.
- Wenn jemand „falsch“ wirkt.
- Wenn das Lächeln nicht echt ist.
- Wenn das Gesicht zwar hübsch, aber nicht lebendig wirkt.
Kurz gesagt: Deine KI-Selfies sind für das Gehirn anderer oft irritierend.
Sie stimmen nicht überein mit dem, was du später live lieferst.
Und genau das ist das Problem bei der viel beschworenen „Sichtbarkeit“:
Du wirst sichtbar, aber nicht als du.
Identitätsverluste in Hochauflösung
Jede Frau, die regelmäßig gefilterte Bilder von sich sieht, macht unbewusst folgendes Training:
- So sollte ich aussehen. Nicht so, wie ich im Spiegel bin.
- So bekomme ich Likes. Nicht mit meinem echten Ich.
- So wirke ich attraktiv. Nicht mit meiner wahren Ausstrahlung.
Was daraus entsteht, ist eine perfide Art der Selbstkonditionierung.
Du vergleichst dich nicht mehr mit Models, sondern mit deiner eigenen Avatar-Version.
Und dieser Vergleich ist toxisch. Und sehr sehr traurig!
Denn du verlierst nämlich nicht nur dein Bild und deine Identität, sondern du verlierst auch dein Selbstwertgefühl.
Die Maskierungen lügen und man spürt es
Du kannst dein Gesicht mit Glow filtern, deine Haut mit Blur glätten und deine Augen vergrößern.
Aber weißt du, was du nicht retuschieren kannst?
- Deine Unsicherheit, wenn du in echt gesehen wirst.
- Deinen Energieverlust, wenn du denkst, „das reicht nicht“.
- Deinen Selbstzweifel, wenn du dich hinter Pixeln versteckst.
Das ist keine digitale Spielerei mehr.
Das ist eine psychologische Tickende-Zeitbombe.
Weil du immer weniger du bist. Und immer mehr Projektionsfläche.
Selbstinszenierung ist kein Verbrechen, aber auch kein Ersatz für das Selbstbild
Ich komme aus der Beauty & Styling Branche und habe lange als Visagistin gearbeitet.
Von daher hab absolut nichts gegen gute Bilder, ein bisserl Licht, gutes Posing im coolen Outfit und Make-Up.
Style, Ästhetik und Wirkung ist super und ich befürworte es.
Aber die Frage ist: Wen zeigst du da, wenn du alle möglichen Filter und Prompts über dein Bild lässt?
Eine Variante von dir, die du geil findest oder ein digitales Kunstprodukt, das deinem Selbstwert vorgaukelt, „jetzt bist du okay“?
Denn wenn du deinen Selbstausdruck vom Algorithmus abhängig machst, hast du ihn schon verloren.
Zeig dich als Person, nicht als Pixel
Wenn du ein Business mit einer Botschaft oder einfach was zu sagen hast, dann zeig dich!
Zeig dich bitte mit allem, was du bist, nicht mit allem, was du gerne wärst, wenn du 10 Jahre jünger und 3 Filter dicker wärst.
Denn Sichtbarkeit funktioniert nur mit Stimmigkeit.
Und Stimmigkeit braucht nicht den perfekten Glow, sondern die klare innere Haltung:
Du bist du. Nicht glatt, nicht perfekt, nicht immer Instagram-ready. Aber echt.
Und das ist mehr wert als jeder Algorithmus.
Und jetzt? Deine Entscheidung: Bühne oder Maske?
KI ist ein brillantes und mächtiges Werkzeug.
Aber es ist nicht deine Identität.
Nutze KI, um deine Stimme zu verstärken, aber nicht, um dein Gesicht zu
verstecken.
Verwende es, um deine Message klarer zu machen, nicht um deine Falten zu löschen.
Denn wenn du willst, dass Menschen dich hören, sehen, spüren , dann musst du dich zeigen.
Nicht irgendein KI-Optimat, sondern dich.
Dein 1° Move für heute
Mach ein Selfie ohne Filter und schau es dir an.
Atme tief und frag dich:
- „Würde ich dieser Frau gerne zuhören?“
- „Traue ich ihr was zu?“
- „Finde ich sie charismatisch, auch ohne digitalen Hochglanz?“
Wenn du bei mindestens zwei Fragen nickst:
Welcome back. Deine Wirkung gehört wieder dir.
Wenn du bei allen dreien zweifelst:
Dann wird es Zeit, deinen digitalen Spiegel neu zu polieren, von innen.
Wenn du willst, dann helf ich dir gerne dabei.
Fazit: Es ist nicht dein Selfie, das du updaten musst. Es ist dein Selbstbild.
KI ist nicht dein Feind, aber sie ist auch nicht deine Identität.
Sie ist ein hilfreiches Werkzeug und wie bei jedem Werkzeug stellt sich nur eine Frage: Wer führt hier eigentlich Regie?
Du, oder der Wunsch, jemand anders zu sein?
Denn Sichtbarkeit beginnt nicht mit deinem besten Winkel.
Sondern mit der Entscheidung, dich selbst nicht mehr zu verstecken.
Also: Zeig dich. Mit Falten. Mit Feuer. Mit Filter oder ohne.
Aber vor allem: mit dir.
In diesem Sinne, bis dahinne...deine Alex.
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