· 

In´s Gesicht geschrieben

Warum Facereading keine Diagnose ersetzt und oft gefährlicher ist, als du denkst. Ein Reality Check über Mimik, Muster und Manipulation.
Warum Facereading keine Diagnose ersetzt und oft gefährlicher ist, als du denkst. Ein Reality Check über Mimik, Muster und Manipulation.

Das Gesicht als Spiegel der Seele oder doch eher als Projektionsfläche?

“Im Gesicht steht alles geschrieben!”

Das klingt ja erstmal gut, oder? Ich schau mir dein Gesicht an, deine Ohren, dein Hautzustand und erkenne dann, wer vor mir sitzt, wie es in deinem Inneren aussieht und zu welchen Erkrankungen du neigst oder bereits davon betroffen bist.

Tja, wenn es denn nur so einfach wäre, dann bräuchten wir keine Fachkräfte mehr für Diagnosen oder teure Gerätschaften, um zu erkennen, was im Körper los ist.

Ein Blick genügt und ein Facereader sieht sofort, wo bei dir der Hammer hängt und sich das Trauma festgesetzt hat.

Das Ergebnis wird dir dann sehr emotional, oft poetisch und immer auch mehr oder weniger spirituell unter dein Näschen gerieben. Blöd ist nur, dass nicht alles, was gut und nachvollziehbar klingt, auch wahr ist.

 

Leider wird gerade in den sozialen Medien gerne der Anschein vermittelt, dass im Gesicht ablesbar ist, ob jemand depressiv ist, narzisstisch gestört oder in einer toxischen Beziehung steckt und genau da versteckt sich die Falle, in die gerne getappt wird: Überinterpretation, Schnell-Analyse und damit direkt ab in die Sphären der grandiosen Irrtümer.

Ein Gesicht zeigt nämlich nicht die Psyche, sondern höchstens den aktuellen Zustand selbiger und selbst das auch nur dann, wenn du genau weißt, worauf zu achten ist.

 

Versteh mich nicht falsch: ich bin ein großer Fan von Facereading, Siang Mien, Psycho-Physiognomik, Mimikresonanz und Antlitzdiagnostik sowie all dem, was zu diesem Bereich dazu gehört und arbeite selbst mit vielen dieser Systeme.

Aber es sind Werkzeuge, keine in Stein gemeißelte Wahrheiten.

Sie können Perspektive eröffnen, Hinweise liefern und Tendenzen anzeigen und funktionieren nur dann wirklich, wenn man das ganze Bild eines Menschen im Blick hast, nicht nur die Falten auf der Stirn.

Daher sollte eines klar sein: Diese Methoden sind keine Orakel, sondern Beobachtungsinstrumente.

Und sie sind nur so gut wie der Mensch, der sie anwendet. Ohne Kontext, ohne Haltung, ohne Blick fürs Ganze wird auch aus dem besten Werkzeug schnell ein Etikettenspender.

ZU FAUL ZUM LESEN? DANN LEHN DICH ZURÜCK UND HÖR GENAU HIN.
Hier gibt’s diesen Artikel auf die Ohren, natürlich mit Betonung, Haltung und meinem unverwechselbaren Tonfall

Was unser Gesicht wirklich zeigt und was nicht

Unser Gesicht ist Ausdruck, keine gültige Diagnose und vor allem auch keine Quick-Fix Bedienungsanleitung für unsere Persönlichkeit. Es spiegelt Emotionen, Spannungen, Reaktionen, Potentiale, Neigungen, aber auf keinen Fall Persönlichkeitsstörungen.

 

Natürlich gibt es Hinweise, wenn du genau hinschaust:

  • ein chronisch angespannter Kiefer kann auf Stress oder Wut hinweisen
  • die glatt gezogene Stirn könnte ein Zeichen von Kontrolle sein oder hat einfach etwas zu viel Botox abbekommen ;-)
  • ein starrer und leerer Blick mag auf Dissoziation hinweisen, kann aber auch einfach nur an einem verdammt miesen Tag liegen

Und genau darauf möchte ich hinaus: Klar, ist etwas sichtbar und manches mag auch tatsächlich auf Ausprägungen des Charakters, auf Talent und Potential oder sogar auf Prädispositionen, also Empfänglichkeiten für gewisse Krankheiten, hinweisen. Aber der Ausdruck ist immer nur ein Moment, keine Definition, keine Diagnose und schon gar keine Pathologie.

Wer also glaubt oder es sogar vermittelt, Mimik sei ein Seelenscreen, hat nicht verstanden, wie sehr Schutzmechanismen, soziale Masken und neuronale Strategien unser Auftreten beeinflussen. 

 

Warum psychische Erkrankungen nicht ins Gesicht geschrieben stehen

Für psychische Erkrankungen gibt es keine optische Checkliste. Zum Glück, denn sie werden immer noch stigmatisiert und die Betroffenen leiden auch so schon genug, ohne dass jeder Hinz und Kunz ihnen an der Nasenspitze ablesen könnte, ob sie zu Angststörungen, Borderline oder einer schizoiden Ausprägung neigen.

Niemand läuft mit einem Depressions-Stempel im Gesicht rum und PTBS hat auch keine bestimmte Augenform und ein Trauma zeigt sich auch nicht in einer Nasolabialfalte.

 

Ja, es gibt Symptome, die sich zeigen können und auf einen Ist-Zustand hinweisen mögen, wie zum Beispiel blasser Teint, wenig Mimik, flacher Blick und überregulierte Körpersprache. Das alles sind Hinweise, aber noch lang keine Beweise.

 

Denn genauso gut kann jemand mit einem frischen Lächeln, rosigen Wangen und charmantem Auftreten tief depressiv sein. Das nennt sich dann „High-Functioning Depression“ und kommt leider häufiger vor, als man denkt und endet oft sehr tragisch.

Ein sehr prominentes Beispiel ist Robin Williams. Unter dem Schlagwort "The Funny Face Of Depression” gibt es einen entsprechenden Artikel bei NBC News, den Link findest du am Ende dieses Beitrags.

 

Und jemand, der grimmig wirkt, ist vielleicht einfach introvertiert, müde, hat zu viel Stress oder ist genervt von deiner Frage ;-)

Deswegen ist es auch so wichtig, den Kontext zu sehen, denn psychische Erkrankungen sind zwar innere Zustände mit äußeren Auswirkungen, aber auf keinen Fall optische Etiketten und Roadmaps zum Inneren eines Menschen.

 

Facereading - zwischen Kunst, Wissenschaft und Kaffeesatz

Die Persönlichkeit, den Gesundheitszustand und den Charakter eines Menschen anhand der Physiognomie ablesen klingt nach Magie, nach uraltem Wissen und vor allem nach der Fähigkeit, in einem Menschen zu lesen, wie in einem offenen Buch.

 

Und genau das ist der Haken, das Sandkörnchen im Getriebe des wertschätzenden Miteinander: Viele glauben, das zu können und sind der festen Überzeugung, meist nach einem kurzen Ausflug in den Bereich des Face- & People Reading, dass sie mit einem Blick die Kindheit erkennen und die eine, spezielle Falte, das Vater-Trauma aufzeigt.

Da kommen dann auch Aussagen zu einem zuckenden Mundwinkel: “Du verdrängst deine Gefühle. Lass uns mal schauen, wo dein Hase im Pfeffer liegt!”

Mag ja beeindruckend klingen, ist aber meistens nur eines: Bullshit mit Intuitionsfilter. 

Denn zwischen echter Beobachtung und kognitiver Projektion liegen Welten…ach, was schreibe ich: GALAXIEN! 

 

Wer Gesichter und Menschen wirklich lesen will, braucht mehr als Bauchgefühl und ein bisschen esoterisches Gerümpel.

Es braucht Kontext, Körperwissen, Neuro-Psychologie und vor allem Demut, um das eigene Ego rauszunehmen und den anderen bewusst zu sehen.

 

Lass uns doch jetzt mal einen Blick auf die gängigsten Methoden werfen und worin sie sich unterscheiden. 

 

  • FACE READING / SIANG MIEN (CHINESISCHE GESICHTSLESEKUNST)

Diese Methode stammt aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) und Philosophie und basiert auf jahrhundertealten Beobachtungen.

Siang Mien geht davon aus, dass sich Lebenserfahrungen, Charaktereigenschaften und Konstitutionstypen im Gesicht widerspiegeln, in Form, Proportion, Falten, Farbveränderungen, Spannung und vielem mehr.

Das klingt erstmal nach Typisierung und ist es im Grunde auch. Aber in der ursprünglichen Form ist Siang Mien weder manipulativ noch schubladisierend, sondern eher diagnostisch-symbolisch gemeint: Welche Organe sind geschwächt? Welche Lebensenergie ist blockiert? Wo braucht es Balance?

Wichtig: Gute Face Reader (wie z. B. Eric Standop) arbeiten nicht mit Schwarz-Weiß-Denken. Sie lesen Hinweise, keine Schicksale. Das Problem entsteht erst, wenn sich Laien aus drei Büchern und einem Insta-Reel ihr „Profiling-Wissen“ zusammenbasteln und dann ernsthaft glauben, sie könnten Trauma, Narzissmus und Bindungsstörungen aus dem Nasenrücken ablesen.

 

  • ORGANSPRACHE (NACH DAHLKE & CO.)

Die sogenannte Organsprache ist ein Konzept aus der ganzheitlichen oder psychosomatischen Medizin. Sie geht davon aus, dass jedes Organ für ein emotionales oder psychisches Thema steht:

  • Leber = Wut,
  • Haut = Abgrenzung,
  • Lunge = Trauer,
  • Blase = Kontrolle.

Auch wenn dieser Ansatz manchen hilft, innere Prozesse zu verstehen, ist er kein objektives Lesesystem.

Er eignet sich gut zur Selbstreflexion, weniger jedoch zur Fremdanalyse.

Denn: Was bei dem einen Menschen als Hautthema auftritt, kann bei einem anderen einfach eine Allergie sein.

Wenn du also anfängst, in jedem Hautausschlag einen ungelösten Mutterkonflikt zu sehen, bist du näher an der Astrologie als an echter Persönlichkeitsanalyse.

Merke: Organsprache ist ein möglicher Spiegel. Kein Beweismittel.

  

  • MIMIKRESONANZ® (NACH DIRK EILERT, BASIEREND AUF PAUL EKMAN /FACS)

Jetzt wird’s fundierter: Mimikresonanz ist ein systematisches Trainingskonzept zur Erkennung von Mikroexpressionen, also winzig kleinen mimischen Bewegungen, die unbewusste Emotionen verraten. Diese Methode basiert auf der Emotionsforschung von Paul Ekman, der wissenschaftlich nachgewiesen hat, dass sieben Basisemotionen (wie Angst, Wut, Ekel, Freude etc.) kulturübergreifend an bestimmten Muskelkontraktionen im Gesicht erkennbar sind.

Und ja – das funktioniert.

Aber es funktioniert nur, wenn du die Mikroexpression im Moment des Entstehens erkennst, den Kontext einbeziehst und aufhörst, in Schablonen zu denken. Mimikresonanz ist ein Trainingsprozess, kein Talent. Und es ersetzt niemals Empathie.

Was es ist: Ein fundiertes, neuropsychologisch gestütztes System zur Erkennung emotionaler Signale.

Was es nicht ist: Eine Methode, um anderen ihre Vergangenheit oder Störungen aufs Auge zu drücken.

 

  • PROFILING / PEOPLE READING

Profiling klingt nach FBI. Und ja, im Ursprung ist es das auch: Mustererkennung, Risikoanalyse, Kontextbewertung.

Im Coaching- oder Kommunikationstraining meint People Reading die Fähigkeit, Verhaltensmuster, Körpersprache, Sprachgebrauch und Typologien zusammenzuführen, um einen Menschen besser einzuschätzen, nicht zu bewerten.

Du liest dabei nicht das Gesicht allein, sondern die Summe aus Haltung, Mimik, Stimme, Reaktionsverhalten, Wortwahl, Energie, Timing  und vor allem: wie sich das alles im Kontext zeigt (Ist übrigens die Methode, mit der ich arbeite)

Gutes Profiling liefert keine Etiketten, sondern Hypothesen.

Es sagt nicht „Der ist ein Narzisst“, sondern fragt: „Was könnte der Grund für dieses Spannungsmuster sein?“

People Reading braucht Wissen. Kein Bauchgefühl. Kein Tarotblick.

Und ganz sicher kein moralisches Überlegenheitsgefühl.

 

  • ANTLITZDIAGNOSTIK

Die Antlitzdiagnostik ist eine naturheilkundlich geprägte Methode, bei der man aus dem Hautbild, den Verfärbungen, Falten, Zonen und Gewebsveränderungen im Gesicht auf körperliche Mängel (z. B. Mineralstoffe, Spurenelemente) schließt.

Ursprünglich genutzt in der Schüßler-Salz-Therapie, wurde diese Methode später erweitert, teils mit medizinischem Hintergrund, teils mit symbolischen Deutungen („Augenringe = Niere = Angst“, etc.).

Funktioniert sie? Manchmal.

Zumindest als Hinweisgeber, wenn sie mit Anamnese, Lebensstil, Blutbild oder anderen Beobachtungen kombiniert wird.

Aber auch hier gilt: Ein dunkler Augenring ist kein Beweis für ein Trauma.

Manchmal ist’s einfach ein scheiß Schlafrhythmus und zu wenig Wasser.

 

Mein eigener Einstieg in diese Welt begann genau hier: In meiner Ausbildung zur Heilpraktikerin kam ich zum ersten Mal mit der Antlitzdiagnostik und Organsprache in Berührung und war sofort angefixt.

Was andere als altmodisch oder vage abtun, hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen: Wie sich Mineralstoffmängel, hormonelle Dysbalancen oder sogar innere Spannungszustände über Hautfarbe, Glanz, Faltenverlauf oder Spannkraft im Gesicht zeigen können, fand ich nicht nur spannend, sondern auch erstaunlich präzise, wenn man genau hinsieht.

Diese Erfahrung war der Startschuss für meine Faszination, noch tiefer einzutauchen.

Nicht in mystische Deutung, sondern in fundierte Beobachtung:

  • Was zeigt der Körper und warum?
  • Wie korrelieren äußere Zeichen mit inneren Prozessen?
  • Und wie kann ich lernen, all das zu lesen, ohne zu urteilen?

 

Was alle eint: es sind Methoden, Werkzeuge und Hilfsmittel.

Manche davon sind solide, manche eher symbolisch und manche sogar gefährlich, wenn sie in den falschen Hände landen und Halbwissen mit Gier und einem überproportionalen Ego zusammenstossen.

Wer Menschen wirklich lesen will, braucht mehr als einen Blick auf´s Gesicht.

Es braucht Kontext, Verantwortung, jede Menge Erfahrung und die Bereitschaft, sich auf den anderen einzulassen und nicht sofort alles wissen zu wollen, sonder erstmal zu verstehen.

 

Das Problem ist nicht die Methode ,es ist der Missbrauch durch Menschen, die ein Wochenendseminar besuchen und sich danach für Sherlock Holmes der Persönlichkeitsentwicklung halten.

 

Pseudowissenschaft & Profiling-Posing: Wenn Face- & People Reading zur medialen Selbstinszenierung wird

Was derzeit in den sozialen Median abgeht kommt mir eher vor, als ob Face- & People Reading als Ego-P*rno genutzt wird, um sich selbst in den Olymp der Profiler zu erheben und ein bisschen den Duft von "Lie to me" oder "Mindhunter" zu schnuppern.

 

Es häufen sich bedenkliche BS-Aussagen wie: 

  • „Ich sehe an deiner linken Wange, dass du Bindungsangst hast.“
  • „Deine Stirn verrät dein Kindheitstrauma.“
  • „Dein Kinn zeigt, dass du deine Weiblichkeit unterdrückst.

 

Ja nee, ist klar, die Glaskugel lässt grüssen. Sorry, aber sowas ist Quatsch mit Eso-Soße!

Denn was da oft passiert, ist kein Face Reading, es ist Labeling, Projektion und Manipulation mit Wohlfühl-Vokabular.

Und ganz ehrlich? Das ist nicht nur unprofessionell, sondern es ist saugefährlich.

Denn es erzeugt falsche Sicherheit („Ich weiß, wie du bist.“), befeuert Selbstdiagnosen („Stimmt, ich hab das gelesen,bin ich vielleicht auch so?“) und es blockiert echte Entwicklung  („Ich bin halt so. Mein Gesicht sagt’s ja auch.“)

 

Ist also alles nur Geschwurbel, oder lässt sich tatsächlich etwas im Gesicht erkennen?

Ein klares Ja für das Erkennen, sofern man weiss, worauf zu achten ist.

Wer geschult ist in Körpersprache, Neuro-Psychologie und emotionaler Dynamik kann einiges sehen:

  • Anspannungen im Kiefer und Nackenbereich, was Zeichen für Kampfmodus, unterdrückte Wut oder Überkontrolle sein können = Zähne zusammenbeissen.
  • Starre Mimik und eingefrorenes Lächeln kann ein Zeichen sein für eine soziale Maske und emotionale Dissonanz
  • Vermeidung von Blickkontakt ist eventuell ein Hinweis auf Unsicherheit, Schutzbedürfnis oder innere Dissoziation
  • Überkompensation durch Grimassen oder übermäßiger Mimik maag ein Hinweis auf Verlust der eigenen Authetnizität sein, wie es auch oft bei einem Burn-Out vorkommt

All das sind neurobiologische Reaktionen, keine esoterischen Botschaften und sie sagen dir nichts über das „Warum“, aber viel über das „Was gerade los ist“, denn der Körper erzählt uns oft mehr als unsere Worte.

 

Zwischen Linie und Lüge. was deine Physiognomie wirklich verrät

Körpersprache und Mimik allein sind aber. nur die halbe Miete, sie zeigen uns, was gerade los ist: Spannung, Regulation, emotionale Dissonanz oder einfach nur einen eingeklemmten Nerv.

Was aber ist mit dem Gesicht selbst, also mit Formen, Proportionen, Hautstrukturen, Falten, und und und?

Was genau sehen Facereader, Antlitzdiagnostiker oder psycho physiognomisch geschulte Profis, wenn sie einem Menschen ins Gesicht blicken?

Kurz gesagt: Sie sehen keine in Stein gemeißelte Wahrheit, aber sie sehen Hinweise auf körperliche Veranlagungen, konstitutionelle Schwächen, psychosomatische Dauerzustände oder emotionale Strategien, die sich über Jahre eingeprägt haben. Denn auch wenn unser Gesicht keine Psyche verrät, speichert es Spuren unseres inneren Lebens.

Nicht als offenes Buch, eher wie ein Manuskript in Rohfassung, das nur mit viel Erfahrung, Kontextwissen und Fingerspitzengefühl zu deuten ist.

 

Da wären zum Beispiel:

  • Ausgeprägte Stirnfalten quer über die Stirn, oft ein Zeichen für dauerhafte kognitive Überlastung, exzessives Grübeln oder chronische Anspannung im Denkzentrum.
  • Schwellungen oder Einziehungen unter den Augen können Hinweise auf Nierenenergie, emotionale Erschöpfung oder unzureichende Regeneration sein.
  • Gesichtshälften mit deutlich unterschiedlicher Spannung sind oft ein Zeichen innerer Ambivalenz, ungelöster Konflikte oder eines permanenten „Doppelmodus“ (Pflicht vs. Wunsch, Maske vs. Gefühl).
  • Die verhärtete Kiefermuskulatur wird nicht nur bei Stress aktiv, sondern kann dauerhaft Verspannungen, Dominanzmuster oder Kontrollstrategien anzeigen.
  • Blässe, Glanz oder Rötung einzelner Zonen werden in der Antlitzdiagnostik oft als Hinweise auf Stoffwechselprozesse, Organsysteme oder Mängel interpretiert (z. B. Eisen, Zink, Calcium).

Und das ist nur der Anfang.

Physiognomie heißt: das, was sichtbar ist, nicht überinterpretieren, aber auch nicht ignorieren.

Es geht nicht um „Was sagt dein Gesicht über dich?“, sondern um: Welche Spuren hat dein Leben darin hinterlassen?

Und vor allem: Willst du sie verstehen oder nur betonen?

 

Doch bei aller Faszination für Formen, Falten und Farben:

Was wir im Gesicht eines Menschen zu erkennen glauben, ist immer auch ein Spiegel unserer eigenen Wahrnehmung.

Denn so sehr wir uns auch auf fundierte Beobachtung stützen wollen, am Ende ist es unser Gehirn, das die Deutung übernimmt. Und das arbeitet nicht neutral, sondern blitzschnell, emotional und oft ziemlich daneben.

Genau hier lauern die gefährlichsten Fallstricke.

Nicht in der Methode, sondern im Kopf des Betrachters.

 

 

Fallstricke & kognitive Verzerrungen: Warum wir uns so gern täuschen lassen

Dein Gehirn liebt schnelle Antworten und Gesichter liefern schnelle Reize.

Genau da beginnt das Problem. Denn was du siehst, ist nicht immer das, was ist, sondern oft das, was du erwartest.

Willkommen im Universum der kognitiven Verzerrungen:

  • Der Confirmation Bias lässt dich genau das entdecken, was deine innere Geschichte bestätigt.
  • Der Halo-Effekt sorgt dafür, dass attraktive Menschen automatisch als klug, freundlich oder kompetent gelten, auch wenn sie gerade eine emotionale Bruchlandung hinlegen.
  • Und der fundamentale Attributionsfehler schleicht sich leise ein, wenn du jemandem seinen Gesichtsausdruck als festen Charakterzug auslegst, anstatt die Situation zu hinterfragen. Das ist keine Spiritualität, das ist Neuropsychologie.

Und genau deshalb reicht Intuition nicht. Es braucht Training, Reflexion und Kontext.

Zwischen Wahrnehmung und Bewertung verläuft eine Grenze, die viel zu oft übertreten wird, vor allem von denen, die schnell urteilen, statt genau hinzusehen. Wenn du wirklich verstehen willst, was sich im Gesicht eines Menschen zeigt, brauchst du mehr als einen guten Blick:

  • Du brauchst Kontext: Was war davor?
  • Körpersprache: Was sagt der Rest des Körpers?
  • Stimme, Sprache, Pausen: Wie wirkt das alles zusammen?

Wer stattdessen in Sekunden das Etikett „narzisstisch“, „unsicher“ oder „traumatisiert“ vergibt, zeigt nicht etwa Menschenkenntnis, sondern Projektion mit Ego-Finish.

Wahrnehmen ist eine Kunst. Bewerten ist ein Reflex mit Egopolitur.

Kluge Menschen stellen Fragen, statt vorschnell Antworten zu liefern.

Sie beobachten, statt zu interpretieren und sie reflektieren sich selbst, bevor sie andere bewerten.

Denn echte Menschenkenntnis beginnt nicht im Gesicht, sondern im Umgang mit der eigenen Unsicherheit.

Wer anderen vorschnell eine Geschichte ins Gesicht schreibt, nur um sich selbst als Erkenner zu feiern, hat Empathie nicht verstanden, sondern zur Selbstdarstellung missbraucht.

 

Dein Hirn will schnelle Antworten. Gib ihm statt dessen bessere Fragen.

Wir alle wollen verstehen, wer uns gegenübersteht. Wir sehnen uns nach Sicherheit, nach Orientierung, nach einem inneren Kompass, der uns sagt: „Aha, so tickt der.“

Genau deshalb ist Facereading so verführerisch: Ein Blick, ein Impuls und zack, hat der Kopf ein Etikett drauf und das eigene Ego hat das Gefühl, im Vorteil zu sein.

Aber: Verstehen heißt nicht einordnen. Und erkennen heißt nicht diagnostizieren.

Wer Menschen wirklich lesen will, braucht mehr als gute Augen. Es braucht Demut, Selbstreflexion, Geduld – und die Fähigkeit, auszuhalten, dass du vielleicht nicht alles weißt. Nicht nach einem Blick. Nicht nach einem Satz. Und ganz sicher nicht nach einem Wochenendkurs mit Chakra-Brosche und Gefühlskompass.

Wenn du dein Hirn schulen willst, dann trainiere Fragen – nicht Urteile.

Wenn du Menschen lesen willst, dann fang mit dir selbst an. Was glaubst du zu sehen? Was glaubst du zu wissen? Und wozu brauchst du diese Information?

Denn das gefährlichste Gesicht ist nicht das deines Gegenübers – sondern das, das du dir selbst machst, wenn du glaubst, du weißt Bescheid.

Und genau deshalb gilt: Wenn dich das Thema fasziniert, wenn du seriös lernen möchtest, wie man Gesicht, Körpersprache, Verhalten und Ausdruck lesen kann – dann geh zu denen, die nicht mit Pauschalurteilen um sich werfen. Sondern lehren, wie man wahrnimmt, ohne zu werten.

Zwei empfehlenswerte Experten und eine Expertin für eine fundierte Weiterbildung in diesem Bereich hab ich dir am Ende des Beitrags verlinkt.

Wenn du tiefer einsteigen willst, prüfe nicht nur die Methode, sondern auch die Haltung der Lehrenden:

  • Gute Profiler urteilen nicht. Sie beobachten, analysieren, stellen in Frage und erkennen an, dass der Mensch mehr ist als eine Falte, ein Zucken oder ein Blick.

Denn Menschen lesen heißt nicht: Etiketten kleben. Menschen lesen heißt: Präsenz zeigen, bewusst sehen und die eigene Wahrnehmung immer wieder überprüfen.

 

Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, teile ihn gern oder stell die Fragen, die sich andere nicht trauen.

Ich lese nicht nur Gesichter, sondern auch zwischen den Zeilen.

Daher Augen auf, Haltung bewahren und hör nie auf, Muster zu hinterfragen.

 

Cut the Crap! Life is too short for Bullshit.

Deine Alex

 


Hier die versprochenen Links:


Kommentar schreiben

Kommentare: 0