
Warum du nicht auf später warten solltest
Dieser Beitrag wird sehr persönlich, denn es geht um deine Restlebenszeit, um aufgeschobene Träume, eingemottete Wünsche und um Verluste, über die selten jemand spricht.
Wenn du schon etwas länger jung bist und die 5 oder sogar schon die 6 an erster Stelle deines Alters steht, dann hast du deinen Zenit bereits überschritten. Du bist im letzten Drittel deines irdischen Daseins angekommen.
So nüchtern und hart wie das klingt, so wichtig ist es, das mal auszusprechen, auch wenn immer beschönigend von der "zweiten Lebenshälfte" die Rede ist.
Tatsache ist doch, dass bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 82 Jahren für Frauen in Deutschland die Mitte, mathematisch gesehen, bei 41 Jahren liegt. Also nix mit zweiter Hälfte, dieser Drops ist längst gelutscht.
Klar kannst du mit guten Genen und viel Pflege auch 90 oder 100 werden und dabei hoffentlich noch körperlich fit und geistig wach sein, aber wenn wir mal ehrlich sind: Es bleiben immer weniger Jahre, um das zu erleben, was noch auf der Liste steht.
Was willst du eigentlich noch alles erleben?
Hast du so eine Bucket List überhaupt schon mal geschrieben und was steht drauf?
Damit meine ich nicht deine "Ich sollte noch...!" Liste oder jede Menge To-Dos, sondern diese echten, oft unausgesprochenen Dinge, die du dir immer wieder vornimmst, aber nie angehst, wie zum Beispiel:
- eine Sprache lernen
- durch Kanada reisen
- ein Buch schreiben
- nochmal mit irgendwas oder dir selbst ganz von vorne anfangen
Das alles braucht seine Zeit, machmal sogar jede Menge und davon gibt es immer weniger, je länger du wartest.
Und jetzt die ehrliche Frage an dich: Wie oft hast du all das schon verschoben, weil erst noch irgendwas erledigt werden musste? Weil der Alltag zu laut war und du dich für andere, für Verpflichtungen oder für das System hintangestellt hast?
Und weil du auf diesen einen perfekten Moment gewartet hast, so als würde irgendwann jemand kommen, dir liebevoll die Hand reichen und sagen:"Jetzt, Liebelein, jetzt darfst du anfangen!"
Tough Love: Dieser Moment kommt nicht.
Und während du wartest, läuft das Leben einfach weiter, bis plötzlich mehr Vergangenheit als Möglichkeit da ist.
Der Zollstock, der bei mir alles verändert hat
Manchmal braucht es ein Bild, das klarer ist als jede Statistik und das alles verändert.
Bei mir war das genau so ein Moment, ausgelöst durch eine Übung, die ich in dem Buch „Das Jahr, als ich anfing, Dudelsack zu spielen “ meiner geschätzten Kollegin Tanja Köhler Anfang 2018 entdeckt hatte und die ich hier mit dir teilen möchte.
Nimm dir einen ganz normalen Zollstock, oder Meterstab, wie auch immer du das Teil nennen magst.
Wenn du diesen viermal ausklappst, kommst du auf 82 Zentimeter, was der durchschnittlichen Lebenserwartung einer Frau in Deutschland entspricht: ein Zentimeter pro Jahr, ganz simpel.
Und jetzt wird´s fies, denn jetzt legst du deinen Finger auf dein aktuelles Alter. Wo bist du? 59? 63? Vielleicht auch 66?
Dann siehst du es deutlich vor dir, dass ein Großteil bereits hinter dir liegt, ganz gleich wie jung du dich fühlst.
Was bleibt sind vielleicht 20, vielleicht 25 oder sogar noch 30 Jahre.
Klingt erstmal viel, aber wenn ich an mein Leben mit Mitte 30 zurückdenke, dann war das gefühlt vorgestern
Und wenn die Zeit von damals bis heute so schnell verflogen ist, dann ahnst du, was ich meine.
Also, Butter bei die Fische:
- wie viele Jahre brauchst du, um eine neue Sprache zu lernen?
- oder Klavierspielen?
- oder Töpfern?
- oder endlich dein Ding durchzuziehen?
Und wie lange wirst du noch körperlich und geistig fit genug sein, um es auch wirklich durchzuhalten?
Ich für meinen Teil bin gerade 59 und optimistisch, da ich mich sehr gut ernähre, täglich mit meinem Hund viel in der Natur bin und immer mehr darauf achte, mich an die erste Stelle zu setzen.
Ich rechne mir daher noch solide 20 aktive Jahre aus.
Aber auch da gilt: Je weiter ich den Finger auf dem Zollstock Richtung 79 schiebe, desto enger wird’s.
Und dann sitzt man da, zwischen 500 ungelesenen Büchern und verlorenen Träumen
Während ich diesen Text schreibe, schaue ich auf meine Bücherregale, wo sich mehrere ungelesene Bücher stapeln.
Wissen, Geschichten und Inspirationen, alles fein säuberlich gestapelt.
Und ich frage mich: Wie viele davon werde ich in diesem Leben noch schaffen?
Deshalb bin ich gerade ganz bewusst beim Konzept des "Death Cleaning", auf das ich in einem Podcast gestossen bin und mich hat es sofort gepackt. In Schweden nennt man es „Döstädning“, zusammengesetzt aus dö (Tod) und städning (Aufräumen) und es geht dabei nicht um morbide Endzeitstimmung, sondern um etwas sehr Würdevolles:
Die bewusste Entscheidung, nur noch mit Dingen zu leben, die du wirklich brauchst und die denen, die nach dir kommen und deinen Mist aussortieren und entsorgen müssen, nicht unnötig zur Last fallen.
Es geht um Klarheit, um mehr Leichtigkeit und um Platz für das, was wirklich zählt.
Ich sortiere gerade meine Bücher, meine CDs und anderen Kram aus, von dem wir alle im Laufe unseres Lebens viel zu viel angesammelt haben und der uns mittlerweile mehr besitzt als wir
ihn.
Nicht aus Frust oder weil ich aufgegeben hätte, sondern aus Ehrlichkeit mir und meiner Lebenszeit gegenüber.
Ich schaue genau hin und überlege, was ich wirklich noch lesen möchte und was mich in den nächsten Jahren begleitet.
Die wichtigsten Bücher lege ich beiseite, die anderen dürfen weiterziehen in neue Regale, zu neuen Leserinnen und Lesern und in ein Leben, das noch mehr Platz und Zeit dafür hat.
Denn für mich bedeutet, dass das Festhalten an allem, nur weil es einmal wichtig oder teuer war, Ballast ist.
Auch Herzensdinge brauchen Raum und in einem begrenzten Leben musst du dich irgendwann entscheiden: Was bleibt und was darf gehen. Wofür nutze ich meine Lebenszeit noch und worauf verwende ich meine Energie.
Und dabei geht es nicht nur um Bücher, es geht um alles, was du angesammelt hast: Im Regal, im Kalender, in deinem Kopf und tatsächlich auch in deinem Umfeld. Es geht um Klarheit, wer oder was nicht mehr alles reinpasst.
Also wähle weise. Und ja, das Loslassen ist manchmal unangenehm, vielleicht sogar schmerzhaft und dieses konsequente Aussortieren kann auch Ängste hervorrufen...aber glaub mir: Es lohnt sich, denn es ist so befreiend.
Der Moment, wenn das Leben passiert und sich alles verändert
Und jetzt wird´s sehr persönlich, denn ich hab vor einiger Zeit wieder erlebt, wie schnell alles vorbei sein kann.
Ich war oft mit einer andren Dog-Mom, wie ich 59 Jahre alt, unterwegs, unsere Hunde waren ein Herz und eine Seele.
Anfang August sagt sie, sie sei ständig müde und alles fällt ihr schwer. Wir dachten dabei natürlich zuerst an Stress, Überarbeitung und Burnout.
Mitte August liess sie sich dann untersuchen, weil es sich nicht besserte.
Und dann kam die Diagnose, dass es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium handelt.
Von der Untersuchung bis zu ihrem Tod vergingen fünf Wochen!
Sie hatte noch so viel vor und vieles davon hatte sie immer wieder auf später verschoben.
Also frag dich…
- was machst du mit dem heutigen Tag?
- mit diesem Jahr?
- mit den Jahren, die dir vielleicht noch bleiben?
Willst du wirklich weiter auf den perfekten Moment warten oder endlich das erste Kreuz auf deiner Wunschliste setzen?
Auch wenn es etwas völlig Schräges ist wie Dudelsack spielen, so wie bei Tanja Köhler in ihrem Buch?
Carpe Diem ist vielleicht ein abgedroschener Spruch, aber vielleicht ist genau dass das Problem: Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt und zu wenig daran gehalten.
In diesem Sinne: Nutze den Tag, nutze dein Leben und frag dich mit offenem Blick auf deinen Zollstock und auf dein Bücherregal: Wie viel Zeit hast du noch und was willst du wirklich damit anfangen?
Danke fürs Lesen, deine Alex
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